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Ausflug ins Barock
mit Frau Seltmann

Was kann man von einem 15. November erwarten? Der Tag machte seinem Monat ehre und war trist und nebelig. Also wie geschaffen für einen Museumsbesuch. Genau das stand auf unserem Plan: die Barock-Ausstellung im Germanischen Museum.

Unsere Guide war – wie immer – Frau Seltmann. Rechts vom Info-Desk führte eine Treppe hoch in den ersten Stock. Dann erstreckte sich ein langer Korridor quer über die Eingangshalle bis zum ersten Saal der Barock-Ausstellung. Mitten im Raum einsam und verlassen die beiden Dürer-Gemälde von Karl dem Großen und Kaiser Sigismund. Es waren nur Kopien, denn die Münchner Pinakothek hatte die Originale nicht herausgerückt.

Frau Seltmann erklärte uns, dass wir uns hier im Galeriebau befänden, der vor einigen Jahren völlig renoviert wurde. Die Barock-Ausstellung erstreckt sich über mehrere einheitlich gestaltete Säle, die wie Perlen an einer Kette aufeinander folgen, und umfasst eine Fläche von insgesamt 2000 Quadratmetern. Alle Säle haben Oberlicht und die Wände sind in taubenblau gehalten.

Die „Museumsmacher“ standen bei der Präsentation einer solch umfangreichen Ausstellung vor einer diffizilen gestalterischen Aufgabe. Es soll ja nicht ausschauen wie bei Sotheby’s oder Christie’s. Das Umfeld, in dem die Exponate präsentiert werden, sollte an ihr ursprüngliches „Biotop“ erinnern, in diesem Fall an die Fürstenhöfe der Barockzeit, und den Betrachter stimmungsmäßig in diese Geschichtsperiode versetzen. Er soll sich auch nicht in einem Labyrinth von Säulen und Vitrinen verirren. Die Highlights der Ausstellung mussten bevorzugt platziert werden und einen optischen Fokus schaffen, der den Besucher zur intensiven Betrachtung einlädt und ihn am schnellen Durchmarsch durch die Säle hindert.

Wir passierten einige Hallen und gelangten in einen Raum, in dessen Mitte die überlebensgroße Statue des Evangelisten Johannes stand. Nicht nur sein Blick ist himmelwärts gerichtet, sondern seine ganze Haltung, vor allem der Mantel des Heiligen, verkörpert einen Schwung nach oben.

Das Barock folgte unmittelbar auf den Dreißigjährigen Krieg und ist nur vor dem Hintergrund dieses drastischen Einschnitts in die deutsche Geschichte zu begreifen. Mittelfranken lag im geographischen Zentrum der Schlachten und Aufmärsche der feindlichen Heere und blutete wirtschaftlich aus.

die Statue des Evangelisten Johannes von vorne Rückseite der Statue des Evangelisten Johannes
die Statue des Evangelisten Johannes die Rückseite der Statue

Wir setzten uns auf den mitgebrachten Stühlen im Halbkreis um die Johannes-Statue und Frau Seltmann schilderte, wie sich 1632 die Heere von Wallenstein – bei Nürnberg – und dem schwedischen König Gustav Adolf – bei Fürth – gegenüberstanden, beide rund 40 000 Mann stark.

Eine Versorgungslogistik wie heute, wo etwa Truppen in Afghanistan aus ihren jeweiligen Heimatländern mit Nahrungsmitteln und allem Nötigen beliefert werden, gab es in alten Zeiten nicht. Die Armeen – ob Freund oder Feind – versorgten sich aus dem Umland – durch Plünderung. In der Zeit, wo sie dort lagerten, fraßen sie Stadt und Umland leer.

Die katholische Kirche, die damals auch eine weltliche Macht war, stand nach dem Krieg vor zwei Problemen:

Wie bringt man in dieser verwüsteten Welt die Wirtschaft wieder in Gang?

Wie fängt man die innerlich verwüsteten, demoralisierten „Schäfchen“ der Kirche wieder ein? Ursprünglich handelte es sich ja um einen Religionskrieg.

Die katholische Kirche verband im Konzept der Gegenreformation die Lösung der beiden Probleme miteinander.

Sie investierte großzügig in den Bau, Wiederaufbau oder Umbau ihrer Kirchen und in deren üppige Ausgestaltung mit prächtigen Heiligenstatuen, pausbäckigen Engeln und farbenfrohen Gemälden. Dies war ein Appell an die Herzen der Menschen. Die ausdrucksstarke Pracht der Kirchen sollte sie emotional packen.

Künstler und Handwerker wurden beschäftigt. Geld kam wieder unter die Leute und tröpfelte nach und nach die gesellschaftliche Leiter hinabzu den Tagelöhnern und zum "einfachen Volk". Das waren die damaligen Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft und Steigerung des Bruttosozialprodukts.

Die weltlichen Herrscher, die ihre verwüsteten und im Zerfall befindlichen Herrschaften wieder zusammenfügen und zu neuem Leben erwecken mussten, taten es der Kirche nach. Sie bauten all die prächtigen barocken Schlösser mit ihrer pompösen Ausstattung, die wir heute bewundern.

Nach diesem Exkurs in die Geschichte lenkte Frau Seltmann unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Evangelisten Johannes. Die rund 2,20 Meter hohe Statue  stammt – wie auch die vier Heiligenstatuen links und rechts des Durchgangs zum nächsten Saal -aus einer Augsburger Kirche. Dort lehnte der Evangelist bestimmt an einer Säule. Um diese räumliche Einbindung nachzubilden, wurde sie in einen Holzrahmen eingefasst und auf einem Sockel platziert. Wieso können wir da so sicher sein? Frau Seltmann forderte uns auf, mal die Rückseite der Statue anzuschauen.

Was für ein Unterschied! Hinten war die Statue grob ausgehauen – hohl. Dies hatte praktische Gründe. Der Künstler machte sich an die Arbeit, solange das Holz frisch und noch feucht war - hier handelte es sich um Lindenholz. Denn trockenes Holz kann nicht mehr so präzise bearbeitet werden. Mit der Zeit trocknet das Holz – natürlich von außen nach innen – und schrumpft dabei. . dies ruft Spannungen im Holz hervor. Dadurch entstehen außen Risse und der feuchte Holzkern fängt an  zu faulen. Verunstaltende Risse im Gesicht des Heiligen – keine prickelnde Aussicht, weder für den Auftraggeber noch für den Künstler.

Zum anderen wäre eine massive Statue viel zu schwer gewesen und hätte Probleme beim Transport und Aufstellen gemacht.

die Statuen von Markus und Matthäus die Statuen von Paulus und Lukas
Markus und Matthäus Paulus und Lukas

Links und rechts des Durchgangs zum nächsten Saal standen die schon erwähnten beiden Paare von Heiligenfiguren. Wie uns Frau Seltmann sagte, hat man mit dem Standort dieser Figuren so lange experimentiert, bis die maximale Aufmerksamkeit der Besucher gewährleistet schien. Aus diesem Grund hat man auch Die Farbe des Wandbereichs hinter den Statuen geändert. So sollte verhindert werden, dass die Besucher achtlos an ihnen vorbei gingen.

Im nächsten Saal steuerte Frau Seltmann zielbewusst auf die Statue der heiligen Notburga zu. Wir nahmen wieder auf unseren Klappstühlen Platz und waren gespannt, was sie uns zu dieser Heiligen erzählen würde.

Notburga ist eine Ausnahme unter den Heiligen. Üblicherweise musste man sich von gottlosen Barbaren martern und umbringen lassen, um hinterher heiliggesprochen zu werden. Mit Notburga meinte es das Schicksal gnädiger.

Sie arbeitete in der Küche der Grafen von Ratingen. Da sie eine gute Seele war, stibitzte sie hin und wieder in der herrschaftlichen Küche Brötchen, um sie unter die arme Dorfbevölkerung zu verteilen. Der Holzschnitzer hat dies dokumentiert, indem er in das Tuch, das ihr von der rechten Schulter über den linken Unterarm hing, einige Brötchen legte. Das gab schon mal Pluspunkte. Aber zur Heiligsprechung reichte es natürlich nicht.

Notburga musste in der Erntezeit auch auf dem Feld aushelfen. Der Arbeitstag war lang und beim Abendläuten buckelte sie immer noch auf dem Acker, um mit der Sichel die Ähren zu kappen. Doch ihr Dienstherr verbot ihr, zur Abendandacht eine Arbeitspause einzulegen. Als gute Christin stellte sie die Andacht über den Befehl des Grafen. Aber wohin mit der Sichel? Einfach weglegen durfte sie die Sichel trotzdem nicht. Denn auch der Gehorsam gegenüber dem Dienstherrn war ein Gebot der Kirche. Mit der Sichel in der Hand lassen sich die Hände nicht zum Gebet falten. Eine vertrackte Situation – mit einer simplen Lösung. Sie hängte die Sichel einfach an einem unsichtbaren Haken in der Luft auf.

So hat der Künstler die Szene festgehalten. Ihren rechten Arm erhebt sie abgewinkelt zum Himmel. In der offenen Hand ist die Sichel zu sehen. Sie hält sie nicht fest, und trotzdem fällt die Sichel nicht runter. Der Betrachter stimmt zu: Das verdient eine Heiligsprechung.

Doch der Künstler konnte sich bei der Darstellung dieses Moments nicht wie Notburga von den Gesetzen der Schwerkraft lösen. Sonst hätte er die Sichel sicher frei in der Luft schweben lassen. Den tumben Gesetzen der Physik unterworfen,  durfte er aber das letzte verbindende Stückchen Holz zwischen Notburgas Handfläche und der Sichel nicht entfernen. Der Betrachter versteht trotzdem, wie's gemeint ist.

Blick in einen der Säle mit den Bilderreihen an den Wänden die Querflöte aus Elfenbein und die Pochette in einer Vitrine
Blick in einen der Ausstellungssäle links die Pochette, rechts die Blockflöte

In die nächste Halle lief Frau Seltmann zunächst alleine und machte sich in einer Ecke zu schaffen. Als wir den Raum betraten, erklang Barockmusik aus einem CD-Player. Wir stellten uns um eine Vitrine herum auf, in der Musikinstrumente ausgestellt waren. eine Blockflöte aus Elfenbein und eine Miniaturgeige, eine sogenannte Pochette.

Wozu braucht man eine Blockflöte aus Elfenbein? Als Statussymbol, versteht sich! Dass eine popelige Holzflöte einen besseren Klang hat, spielte für den musikbegeisterten Adeligen keine Rolle. Und vielleicht konnten sich beim Spielen die bescheidenen Künste des Musikanten hinter der erlesenen Optik seines Instruments verstecken.

Was hatte es mit der Pochette auf sich? Wer benutzte sie und wozu? könnte man doch französisch! Dann wüsste man, dass la poche die Tasche ist. Das wäre hilfreich gewesen. So halfen uns die suggestiven Fragen Frau Seltmanns auf die Sprünge.

Wer wollte seine Geige in die Hosentasche stecken? Zum Beispiel der Tanzmeister eines herrschaftlichen Palais, der seinen Eleven die ersten Tanzschritte beibringen will. CD-Player gab's damals noch keine. Die Musik zum Tanzen musste er notgedrungen selbst machen. Dazu brauchte er die Geige. Er musste sich ihrer aber auch jederzeit entledigen können und die Hände frei haben, um seinen Zöglingen Schrittfolgen und die richtige Körperhaltung beizubringen. Das ging am einfachsten, wenn er die Geige in die Tasche stecken konnte.

Dann machte uns Frau Seltmann auf das Design des Raums aufmerksam. Die Ausgestaltung des Saals lehnte sich an die eines typischen barocken Fürstenschlosses an: sehr hoch - schätzungsweise um die zehn Meter; die Wände mit Gemälden in Zweierreihen behangen die in regelmäßigen Abständen von wandfüllenden, mehrere Meter hohen Monumentalbildern unterbrochen wurden.

Das Mobiliar – Tischchen, Stühle, Schränke - stand an der Wand, um die Mitte des Raums frei zu halten und dem Besucher einen Blick durch die Saalfluchten zu gestatten. 

Die rückwärtige Wand nahmen zwei Monumentalgemälde ein: links Kaiser Franz Stephan, rechts seine Frau, Maria Theresia. Maria Theresia steht auf einem Podest und schaut würdevoll auf die Besucher herab. Die Darstellung ist sicher idealisiert – hier ein Fältchen geglättet, dort eine Hautunreinheit überpinselt. Heute macht man das mit den Werkzeugen von Adobe Photoshop; damals nahm man die Dienste eines versierten Porträtisten in Anspruch. Maria Theresias bevorzugter Hofmaler war der Niederländer Martin van Meytens.

Maria-Theresia ist ganz die Kaiserin. Die Prachtentfaltung an einem barocken Hof war auf die Person des Herrschers ausgerichtet. Einrichtung des Schlosses, soziales und kulturelles Leben am Hof hatten das Ziel, die Person des Herrschers als Verkörperung seines Staates zu erhöhen. Und dazu diente auch seine bildliche Darstellung.

Ulla zieht zunächst den Reifrock an an Ulla zieht die Weste an
Frau Seltmann wirft einen prüfenden Blick auf die fertig gekleidete Ulla Ulla im Arbeitsdress von maria theresia
Ullas von hinten zum Abschluß dreht Ulla ein Menuettchen mit Edith
Ulla wirft sich die Arbeitskleidung von Kaiserin Maria-Theresia über

Frau Seltmann holte aus einer Tasche den Set an Kleidungsstücken, der Maria-Theresias Berufskleidung nachgeschneidert war und Ulla begann damit, mit Frau Seltmanns Unterstützung sich die Klamotten anzulegen. Zuerst der Reifrock, dessen Weite durch Reifen aus Fischbein erzeugt wurde. Darauf wurden seitlich zwei Hüftpölsterchen aufgelegt, verbunden durch eine Schnur, die vorne verknotet wurde. Ganz praktisch, die Teile, denn die Trägerin konnte ihre Unterarme darauf abstützen. Dann war das Top („Mieder“) an der Reihe, das vorne eng zusammengeschnürt wurde. Es sollte der Dame zu einer Wespentaille verhelfen – egal, ob sie von Natur aus eine besaß oder nicht. Als nächstes stülpte sich Ulla den weiten Rock über, der Reifrock und Hüftpolster verbarg. Und schließlich warf sie sich noch den ausladenden Mantel der Kaiserin um.

Noch hier gezupft und da gezoppelt. Dann saß alles perfekt und hielt dem prüfenden Blick von Frau Seltmann stand. Wow! Macht schon was her! Hat aber auch Nachteile. Die Kaiserin musste ständig stehen; setzen konnte sie sich in dieser Kluft nicht. Selber eine Tür zu öffnen war ihr auch nicht möglich. Es sei denn, sie hätte die Arme eines Orang-Utans gehabt. Aber wozu hatte sie ein Heer von Dienern, die dienstbeflissen um sie herumschwirrten? Bewegte sie sich auf eine Tür zu, wurde ihr diese geöffnet. Andererseits gibt es natürlich gewisse Situationen … Was war, wenn sie mal dringend wohin musste? Ein schwieriges Unterfangen. Erst mal eine Bedienstete geholt und runter mit den ganzen Plünnen. Dann doch lieber Jeans tragen und auf den kaiserlichen Pomp verzichten.

Nachdem Ulla würdevoll durch den Saal geschritten war und zu den Klängen aus dem CD-Player ein Menuettchen mit Edith gedreht hatte, entledigte sie sich der kaiserlichen Kleidung. Wir verabschiedeten uns am Info-Desk von Frau Seltmann.

Es war bereits Mittagszeit. Für die Bildung hatten wir genug getan. Jetzt war das leibliche Wohl an der Reihe. Vorsichtig meldete sich ein Hungergefühl. Wir machten uns zum Restaurant Luftsprung auf, wo wir im Obergeschoss noch einen langen freien Tisch fanden. Bei leckeren griechischen Salaten und anderen Gerichten fand unser Ausflug seinen Abschluss.

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