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Nach Schweinfurt zu den
Malern der Romantik

In Schweinfurt-Stadt verließen wir die Regionalbahn und folgten dem Fahrweg am Main entlang, bis wir auf Höhe der Schweinfurter Innenstadt eine Hauptstraße überquerten und schon vor dem Dr.-Georg-Schäfer-Museum standen, dem Ziel unseres Ausflugs. Wir stiegen die breiten Steintreppen hoch und betraten das Foyer des Museums. Unsere Guide, Frau Höhl, erwartete uns bereits. Die Ausstellung "Maler der Romantik" befand sich im 2. Obergeschoss.

Wir gehen am main entlang Richtung Innenstadt

Fußweg am Main entlang

Frau Höhl erzählte uns zunächst etwas über das Museum: eine solch umfangreiche Kunstsammlung lässt sich auf zwei Wegen zusammentragen. Entweder an der Spitze einer siegreichen Armee – die Methode Napoleon – oder mit Munition anderer Art. Dr. Georg Schäfer ging den zweiten Weg. Schweinfurt ist bekanntlich die Kugellager-Stadt. Mit der Firma Kugelfischer verdiente er das Geld, um all die wertvollen Gemälde zu erwerben. Die ausgestellten Werke machen nur den kleineren Teil der Sammlung aus; das Gros lagert in einem Depot.

Das Museum steht auf einem Weltkriegsbunker, der heute als Tiefgarage dient. Er ragt drei Meter aus dem Boden. Diesen Klotz mit dem Museum zu einer ästhetisch ansprechenden Einheit zu verbinden, war die Aufgabe, die sich dem Architekten stellte. Natürlich waren die meisten von uns nicht in der Lage, architektonische Details wahrzunehmen. Die Sehrestler erkannten die riesigen Fensterfronten, die mit dem Mauerwerk abwechselten und vom Grund bis zur Kuppel reichen. Sie lassen den monumentalen Bau aufgelockert und hell erscheinen. Bemerkenswert ist auch die Beschaffenheit der Innenwände. Sie fühlen sich an wie Marmor - ist aber Beton. Der Eindruck entsteht durch eine spezielle Bearbeitung des Mauerwerks.

im foyer des Museums

im Foyer des Museums

Über eine lange Treppenflucht erreichten wir das Obergeschoss. Jede einzelne Stufe war kontrastreich markiert. Wahnsinn! So viel Hilfe für Sehbehinderte haben wir noch nie angetroffen. Die meisten schnappten sich einen dieser praktischen Klappstühle, die am Ende der Treppe bereitstanden. Dann folgten wir Frau Höhl. Wir gruppierten uns um ein Gemälde von CASPAR DAVID FRIEDRICH (1774 – 1840). Aber in einem solchen Museum kann man nicht gleich durchstarten. Man muss erst mal "ankommen" – intellektuell, nicht nur körperlich. Was macht diese Epoche aus, die "typisch deutsch" ist und als Romantik bezeichnet wird?

Frau Höhl skizzierte das Umfeld, in dem sich die Stilrichtung der Romantik herausbildete. Denn neue künstlerische Stile fallen ja nicht einfach vom Himmel herab. Sie sind Ausdruck politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen. Und daran war an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert kein Mangel. In den Befreiungskriegen entstand ein nationales Bewusstsein, das sich politisch nicht durchsetzen konnte. Das gebildete Bürgertum war enttäuscht. Da hatte man die napoleonischen Truppen verjagt und träumte von einem freien, geeinten Deutschland. Und was kam? – die Restauration: Deutschland , ein Flickenteppich aus Kleinstaaten mit ihren Potentaten, die nur ein Ziel kannten – den Status quo zu zementieren. Oppositionelle Kräfte wurden mundtot gemacht. Besser, man hielt die Klappe, arrangierte sich und verfolgte seine berufliche Karriere, igelte sich im Übrigen in seinem Schneckenhäuschen ein und träumte weiter. Der Rückzug in die Innerlichkeit.

Das war der Nährboden, auf dem die Romantik entstand. Sie war das Gegenkonzept zur französischen Aufklärung, die im Klassizismus ihren kulturellen Ausdruck fand. Idealistische Empfindsamkeit, inneres Erleben und Religiosität verdrängten die Rationalität. Denn die war ja "französisch", nicht "deutsch".

Soviel an Einführung und da saßen wir also im Halbkreis um ein DINA4-großes Ölgemälde mit der Bezeichnung "Die Heimkehr der Fischer am Abend" und Frau Höhl beschrieb uns anschaulich, was darauf zu sehen war: Ein paar Fischerboote legen in der Abenddämmerung am Ufer an; undeutlich sind einige Männer zu erkennen; draußen erhebt sich auf einem Felsblock ein Kreuz und diese düstere Szene wird vom Mond schwach erhellt.

Gut, denkt sich der unbefangene Betrachter, Caspar David Friedrich ist an der Ostsee aufgewachsen und hat solche Szenen sicher oft beobachtet. Vielleicht saß er mit seiner Staffelei irgendwo am Strand und hielt auf dem Bild fest, was er sah. Dem war nicht so. Die Bildelemente sind zwar naturgetreu dargestellt und daher wirkt das Gesamtbild auch realistisch. Man wird aber die Landschaftsszene, die Friedrich hier gemalt hat, nirgends an der Ostsee finden.

Die realistische Detailliertheit des Gemäldes täuscht. Der Künstler der Romantik "verdaute" zunächst das Gesehene und Erlebte, das er in Skizzenheften festhielt, und fügte einzelne Elemente daraus zu neuen Kompositionen zusammen. Er projizierte seine Stimmungen und  Empfindungen auf die Leinwand. Der typische Künstler der Romantik war Pantheist und sah in der Natur das Wirken Gottes. Seine mystischen Glaubensüberzeugungen veranschaulichte er in Naturdarstellungen. Jedes Bildelement hatte auch eine metaphysische Bedeutung. Die Bilder sollten das innere Erleben des Malers auf den Betrachter übertragen, also eine Art emotionale Resonanz erzeugen.

beim Verlassen des Museums; Blick auf die gegenüber liegende Straßenseite

Wir verlassen das Museum.

Der Betrachter zu Beginn des 21. Jahrhunderts tut sich da schwer.. Wir suchen den rationalen Zugang und den eröffnete uns Frau Höhl, indem sie die symbolische Bedeutung der Bildelemente im Kontext des Gesamtwerks erläuterte und die Symbolsprache des Malers übersetzte.

Der Mond war eben nicht nur der Mond. Er verkörperte auch die Gegenwart Christi. Am Abend heimkehrende Fischer versinnbildlichen das Ende des Lebens und die Heimkehr in das Reich Gottes. Das Kreuz auf dem Felsen sollte auch den weniger kunstbeflissenen Zeitgenossen auf die beabsichtigte religiöse Interpretation des Bildes stoßen.

Es gab weder Email noch Twitter– selbst das gute alte Telefon harrte noch der Erfindung. Trotzdem schafften es die Künstler, über die Grenzen hinweg ein enges Netzwerk zu bilden und sie standen in intensivem Meinungsaustausch. Dabei bildeten sich Konventionen in der Symbolsprache heraus.

Die Dämmerung sei  ein vorherrschendes Motiv in der Malerei der Frühromantik, ergänzte Frau Höhl. Die Sonne schiene nur auf wenigen Bildern. Es war schon ein melancholisches Häufchen, diese Maler der Romantik.

Ein anderes, für Sehende offensichtliches Phänomen, fiel uns natürlich nicht auf: Dieses Bild von Caspar David Friedrich war klein und all die anderen Bilder ringsum waren keinesfalls höher oder breiter als ein Meter. War das dem Mangel an Leinwand oder Farbe geschuldet oder der Trägheit der Maler? Keineswegs. Der Grund lag im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel. Soll die Kunst nicht brotlos bleiben und will der Maler nicht verhungern, muss er Abnehmer für seine Werke finden. In früheren Epochen waren dies Adel und Patrizier. Große Paläste mit hohen geräumigen Salons mussten mit  monumentalen Bildern dekoriert werden. Im 19. Jahrhundert wurde der Adel abgelöst vom Bürgertum. Jetzt mussten die Bilder an die Wände normaler Wohnzimmer passen und daher in ihren Ausmaßen schrumpfen. 

An der Wand gegenüber hingen Bilder von CARL GUSTAV CARUS (1789 – 1869). Carus war ein Multitalent. Er war nicht nur Maler – das war eher sein Hobby, sondern in erster Linie Arzt und Naturforscher. Seine Lebensmittelpunkte waren Leipzig und später Dresden.  Er war königlich sächsischer Leibarzt und ab 1814 auch Professor für Geburtshilfe und Leiter der Entbindungsklinik an der Dresdner Uni. .

Er reiste für sein Leben gern und durchquerte Deutschland und Europa und kam auch in die Schweizer und französischen Alpen. Aus seinen Eindrücken von dieser Reise entstand das Gemälde "Die Eiswüste von Chamonix". Und das war die nächste Station, vor der wir unsere Klappstühle aufbauten. Für seine Zeit war das Bild fast monumental. In der Vertikalen misst es 120 cm. Frau Höhl beschrieb uns, was darauf zu sehen ist: 

Im Zentrum ein breiter Gletscher, der von rechts oben nach links unten fließt; darüber eine Gebirgskette. Der Gletscher wird eingefasst von düsteren Fichtenwäldern. Kahle Bäume ragen empor. Zwei Männer in altdeutscher Tracht stehen am Waldhang, betrachten den Gletscher und kehren dem Betrachter den Rücken zu. Solch anonyme Personen trifft man in den Werken der Frühromantik häufig an. Wir vermuten, dass auch dieses Bild in der Phantasie des Malers entstanden ist – zusammengesetzt aus verschiedenen Natureindrücken. Das trifft zu. In natura gibt es diese Landschaft nicht.

O.k. – und was will uns das Bild sagen? Nach denWorten von Frau Höhl istdass Eis ein Sinnbild des Todes und Fichtenwälder bringen die Ewigkeit zum Ausdruck. Vielleicht sollte man die Symbolistik auch nicht überstrapazieren. Mag sein, er hatte einen Klienten, dem das Motiv gefiel und der dafür zahlte …

Die altdeutsche Tracht, in die die Personen auf diesem Bild und in vielen anderen gekleidet sind, wurde auch von den Künstlern selbst getragen und stand für ihre politische Überzeugung – dem Wunsch nachnationaler Einheit.

Dann betraten wir einen anderen Raum und machten vor dem Bild "Sturz vom Felsen" von LUDWIG FERDINAND SCHNORR VON CAROLSFELD (1788 – 1853) halt. Schnorr von Carolsfeld ist ein Vertreter der Gruppe der Nazarener, einem katholischen Romantikerkreis.

Das ungefähr DINA2-große Bild illustriert die Ballade "Der Kränzelbusch" von Friedrich Kind. Es zeigt die Flucht eines frisch vermählten leibeigenen Paares vor ihrem Grundherrn, der das altehrwürdige "jus primae noctis" ausüben wollte. Man sieht oben am Hang den Grundherrn auf seinem Pferd, umgeben von einer Hundemeute. Hier holt er die Fliehenden ein, die – weiter unten – nur noch den Ausweg sehen, sich von einem Felsen zu stürzen. Der Maler stellt das eng umschlungene Paar nicht im Sturz, sondern vor der Felswand schwebend dar und nimmt dem Geschehen dadurch die Härte – ein Tribut an den Zeitgeschmack. So umwabert ein Hauch von Rosamunde Pilcher das Gemälde …

Wir bummeln durch die Altstadt

bei sonnigem Wetter unternehmen wir einen Altstadtbummel.

Damit waren wir bereit für Spitzweg. CARL SPITZWEG (1808 – 1885) gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten Malern der Romantik. Im Museum hat er den zentralen, durch die rotbraune Wandfarbe hervorgehobenen Saal erhalten, den er mit keinem anderen Maler teilen muss.

In der ersten Phase seines Lebens war er Apotheker. Das war der Beruf, den er erlernt hatte. Frau Höhl gab uns wieder  einen Abriss seiner Biographie, wie bei den vorherigen Malern auch. Nachdem er durch eine Erbschaft zur Reichtum gelangt war, konnte er seinen Neigungen folgen und Maler werden. In diesem Metier war er Autodidakt. Durch Kopieren von Werken der klassischen Malerei brachte er sich das handwerkliche Rüstzeug bei.

Wir klappten wieder unsere Stühle auf, den Blick auf das Ölbild "Der abgefangene Liebesbrief" gerichtet, das wir mehr oder weniger gut erkennen konnten. Doch wie viel der Sehrest noch hergab, spielte keine so große Rolle. Denn Frau Höhl verwandelte das Bild in eine Geschichte, die es für jeden begreifbar machte.

Man sieht auf die Fassade eines mehrstöckigen Bürgerhauses. Faktisch ist der Betrachter in der Rolle eines Voyeurs, der sich aus einem Fenster im gegenüberliegenden Haus lehnt und zuschaut, was die Nachbarn da drüben so tun. Und da spielt sich ein heiteres Schauspiel ab. Im Dachgeschoss lebt ein Student, der offenbar erfahren hat, dass in der Wohnung unterhalb eine junge Dame wohnt. Die wollte er kennenlernen. Das war Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so einfach. Über die "Tugendhaftigkeit" junger Damen wurde mit Argusaugen gewacht. In diesem Fall gehören die Argusaugen der Tante der jungen Frau. Sie ist der Anstands-Wauwau und hat die Umgebung fest im Blick, während sich das Mädchen über seine Handarbeit beugt und darin versunken ist. Von dem Drachen weiß der Student natürlich nicht und lässt einen zusammengerollten Brief an einer Schnur hinunter, bis er auf Höhe des Fensters der Wohnung unterhalb schwebt. So wartet er mit zufriedenem Gesichtsausdruck ab, wie’s weitergeht.Ein bisschen was geht ja immer … Was sich da tut, kann er natürlich nicht sehen; der Zuschauer im Haus gegenüber schon. Der sieht, wie die olle Fregatte den Brief bemerkt und mit erschrockenem Ausdruck die Hände über dem Kopf zusammenschlägt: Ein Anschlag auf die Unbescholtenheit ihres Schützlings. Ihren Song "Männer sind Schweine" schrieb die Gruppe "die Ärzte" erst runde eineinhalb Jahrhunderte später. Doch so was Ähnliches dachte sich die Tante wahrscheinlich. Und die junge Dame? Sie kriegt von all dem überhaupt nichts mit. Auf dem Boden des Zimmers steht ein Vogelkäfig, der die Gefangenschaft der Jungen Dame symbolisieren soll. Und das Erdgeschoss des Hauses gehört einer Versicherung. – Doppelt genäht hält besser.

Der Abstand zu den Werken der Frühromantik sticht ins Auge. Dort düstere Farben, Melancholie und Mystik. Hier überwiegen die hellen Farben. Die Geschichte wird mit hintergründigem Humor und einem verschmitzten Grinsen in Szene gesetzt.

Abschließend haben wir uns noch zwei weitere Bilder von Spitzweg angeschaut: den "Adlerjäger", ein typisch bayrisches Sujet, und den "Blasturm in Schwandorf". Den Turm gibt’s immer noch. Spitzweg hat ihn gut getroffen, bestätigten unsere beiden Gruppenmitglieder aus Schwandorf.

Damit war die Führung zu Ende und Frau Höhl erhielt von uns allen einen herzlichen Applaus. Sie hat wirklich einen tollen Job gemacht und die Bilder so plastisch beschrieben, dass sich jeder – ob noch sehend oder nicht – eine Vorstellung bilden konnte. .

Jetzt war bereits früher Nachmittag und unsere Mägen meldeten sich. Am oberen Ende des Marktplatzes erhielten wir im Restaurant Bürgerbräu ein leckeres Essen. Da bis zur Abfahrt unseres Zuges noch genügend Zeit war und die Sonne schien, schlenderten wir durch einen Park, der durch Reste der Stadtmauer begrenzt war, schauten uns die Altstadt an und machten uns schließlich, den Main entlang, wieder auf den Weg zum Bahnhof.

Dieses Projekt wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen gefördert..

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