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Im Germanischen Museum - Karthäuser-Kloster und historische Bademoden

Mit Frau Dr. Seltmann, unserer Guide, trafen wir uns am Ende der Eingangshalle, vor einer Wand, die dicht an dicht mit Straßenschildern bepflastert war - weiße Schilder mit schwarzer Schrift. Namen wie Karl-Marx-Allee oder Junker-Jörg-Straße fielen uns auf. In heimischen Gefilden keine üblichen Straßennamen. Woher kamen die Schilder? Aus dem alten Ost-Berlin, vor der Wende, klärte uns Frau Seltmann auf. Und wie kamen sie hierher nach Nürnberg? Weil sie in Berlin nach der Wende niemand mehr haben wollte. Sie wanderten zunächst in eine Rumpelkammer und wurden wiederentdeckt und "gerettet" von jemandem, der den kreativen Einfall hatte, sie zu einer Straßenschilderwand zusammenzufügen. "Junker Jörg" steht übrigens für Martin Luther.

die Wand mit den alten Ostberliner Straßenschildern

die Wand mit den alten Osterliner Straßenschildern - Detail

Die alten Straßenschilder Ostberlins wurden zu einer Wand zusammengefügt. einiger der Straßenschilder im Detail - man beachte die "Ho-Chi-Minh-Str."

 

das ehemalige Karthäuser-Kloster

Das war aber nicht das Ziel unserer Besichtigungstour. Wir wollten das Herzstück des Germanischen Museums, das Kartäuser-Kloster , kennen lernen. Ein paar Schritte hinter der Straßenschilderwand ging's durch eine Tür und schon befanden wir uns im langen Flur des äußeren Kreuzgangs des Klosters. Frau Seltmann machte uns auf den veränderten Nachhall unserer Stimme in diesem Gang, verglichen mit der Eingangshalle des Museums, aufmerksam.

Es handelte sich um einen sehr langen Gang: auf der rechten Seite (aus unserer Sicht) eine Fensterfront, die den Blick in den Klostergarten frei gab, auf der linken Seite Türen. Dahinter lagen die Zellen der Mönche. Links von jeder Tür befand sich eine gewinkelte Durchreiche. Diese Konstruktion versperrte den Blick vom Gang in die Zellen (und natürlich auch in die entgegengesetzte Richtung). Wozu diente das und wer waren die Mönche?

Uschi im Karthäuser-Outfit

Ulla im Outfit der Karthäuser-Mönche

Wir setzten uns auf die Klappstühle, die wir in der Eingangshalle erhalten hatten, und hörten Frau Seltmann zu. Das Kartäuserkloster wurde 1380 fertiggestellt. Daher der gotische Stil. Als Baumaterial diente der Sandstein der Umgebung. Der Orden stammte aus Frankreich. Das Mutterkloster hieß Chartreuse. Davon leitet sich der Name Kartäuser ab. Die Mönche mussten ein Schweigegelübde ablegen. Sie lebten in Einzelzellen, die sie nur einmal die Woche zum gemeinsamen Gottesdienst verließen. Daher auch die verwinkelte Durchreiche, um die Mönche nicht in Versuchung zu führen. Durch eine weitere Tür auf der gegenüberliegenden Seite gelangte der Mönch in den Klostergarten, der entsprechend dem Schnitt der Zellen in durch Wände getrennte Parzellen aufgeteilt war. Bloß kein zwischenmönchischer Kontakt! Und am Ende jeder Parzelle befand sich ein Plumps-Klo. Dazwischen - also zwischen Durchreiche und Plumps-Klo - spielte sich das einsame mönchische Leben in schweigendem Gebet ab.

Der Klosterbau war recht imposant, beherbergte aber jeweils nur knapp zehn Mönche. Welche Menschen waren zu einem Leben mit so gravierenden Einschränkungen bereit? Frau Seltmann machte uns mit den sozialen Zusammenhängen vertraut. Das mittelalterliche Nürnberg lag an der Schnittstelle verschiedener Fernhandelswege und war ein wohlhabendes Gewerbe- und Handelszentrum mit reichen Patrizierfamilien. Die Unternehmen wurden vom Vater auf die Söhne vererbt. Nicht jeder Sohn hatte die Anlagen zum begabten Geschäftsmann. Die weniger begabten wurden ins Kloster verklappt. Damals waren die Menschen ja noch fromm. Sie glaubten an ein zweites Leben, entweder im Himmel oder in der Hölle. Jeder kannte das Gleichnis vom Reichen und dem Kamel: Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel käme. Reich war man. Aber in den Himmel kommen wollte man trotzdem. Daher beendete mancher Geschäftsmann - vielleicht nach einer midlife crisis - seine berufliche Karriere und wandte sich einem entsagungsvollen mönchischen Leben zu. Vielleicht konnte man so noch die Kurve in den Himmel kriegen. Der Wechsel ins Kloster war selbstverständlich auch von umfangreichen Stiftungen begleitet. Das Kloster war reich un konnte sich so viel Aufwand für so wenige Bewohner leisten.

Frau Seltmann hatte auch eine Garnitur der Garderobe der Kartäuser-Mönche dabei. Sie bestand aus mehreren Teilen. Ulla aus unserer Gruppe probierte das Outfit an. Zuletzt zog sie sich einen weiten Mantel mit riesiger Kapuze über, der sie faktisch einschloss und gegen die Umgebung abschirmte. Ulla berichtete, das schaffe ein intensives Gefühl innerer Ruhe. Als Halskette dient ein Rosenkranz - auf dem Foto zu sehen.

Die Zeitläufte änderten sich. Nürnberg schlug sich auf die Seite der Reformation. Das Kloster wurde aufgelassen und als Lagerhaus oder für ähnliche Zwecke verwendet. Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt es seine heutige Bestimmung als Museum und wurde durch Anbauten sukzessive erweitert. In den Luftangriffen Anfang 1945 wurde auch das Germanische Museum schwer in Mitleidenschaft gezogen. Von der Klosterkirche blieb nur noch eine Mauer übrig - die mit der Holzplastik des Erzengels Michael. Einige von uns konnten sie beim Durchqueren der Klosterkirche mehr der weniger gut erkennen. Auf der anderen Seite der Klosterkirche liegt ein kleiner Garten, umgeben von einem weiteren, kleineren Kreuzgang.

die Geschichte der Strandbekleidung

Dann ging's wieder zurück in den modernen Teil des Museums. Im zweiten Stock befindet sich eine Sonderausstellung "historische Bekleidungsteile". Die Ausstellung ist umfangreich und die Beleuchtung der Exponate ist auf ein Minimum beschränkt. Frau Seltmann führte uns zu einer Vitrine, die die Entwicklung der Bademoden veranschaulichte.

Ganz links ein weißes luftiges Kostüm: eine Jacke mit einem weiten Rock. Vor dem ersten Weltkrieg, als der Tourismus langsam in die Gänge kam und die wohlhabenden Bevölkerungsschichten in die Sommerfrische ans Meer, das hieß damals Nord- oder Ostsee, fuhren, trug die Dame von Welt so was, wenn sie den Strand entlang spazierte.

Damen-Badeanzug vor dem Ersten Weltkrieg

Damen-Badeanzug vor derm Ersten Weltkrieg

Ganz wagemutige gingen sogar ins Wasser. Das war ein ziemlich umständliches Unterfangen, verglichen mit heute. Die Dame bestellte sich einen Badewagen und bestieg ihn durch die Vordertür. Der Karren wurde von Bediensteten ein Stück ins Wasser geschoben. Die Dame wechselte die Kleidung und zog einen Badeanzug an, der aus einer Jacke mit Puffärmeln und einer dreiviertel langen Pluderhose bestand. Ein solches Teil ist neben dem weißen Kostüm ausgestellt. Durch die hintere Tür stieg sie ins Wasser. Bequem schwimmen konnte man in dem Teil bestimmt nicht. Der nasse Stoff legte sich an den Körper an und erschwerte jede Bewegung. Wozu der ganze Umstand, fragt sich der moderne Zeitgenosse. Naja, die Dame wollte auf keinen Fall beim Baden gesehen werden. War die Dame des Badens müde, lief das Prozedere in umgekehrter Reihenfolge ab. Zurück am Strand entstieg sie dem Karren wieder in ihrem weißen Strandkostüm und spazierte weiter.

Daneben war ein Badeanzug für Männer zu sehen, bestehend aus einem Leibchen mit einer knielangen Hose, beides quergestreift. Der Schwimmer sah aus wie ein Zebra, das ein Bad nimmt.

Nach dem ersten Weltkrieg lockerten sich die Sitten; nach dem zweiten lockerten sie sich noch weiter - der Bikini kam auf. Der Bikini aus grobem weißem Leinen am Ende der Vitrine hat eine Geschichte. Eine Frau hatte sich ihn kurz nach dem Krieg geschneidert, wahrscheinlich nach einer Vorlage aus einer Zeitschrift. Sie war aus Ostpreußen geflohen und lebte in Köln unter ärmlichen Verhältnissen in einer Mansarde. Sie nähte ihn aus einem Mehlsack. Der Stempel ist noch auf der Innenseite des Bikini-Oberteils zu sehen. Sie wollte in der Nachkriegstristesse einfach auch etwas Besonderes, das sie sich faktisch nicht leisten konnte. Ob sie den Bikini je ausgeführt hat, ist nicht überliefert. Das Germanische Museum sammelt solche Exponate mit Geschichte. Den Mehlsack-Bikini erhielt es von den Nachkommen der Frau.

das Oberteil des kurz nach dem Zweiten Welltkrieg selbst geschneiderten Bikinis

Oberteil einnes Bikinis, den sich eine Frau in Köln kurz nach dem Zweiten Weltkrieg selbst genäht hatte

Damit war die Führung zu Ende und wir bedankten uns ganz herzlich bei Frau Seltmann, der es gelungen war, auch bei den Vollblinden unter uns eine plastische und lebendige Vorstellung von den Exponaten herzustellen.

Es war kurz nach Mittag. Was tun mit dem angebrochenen Tag? Wir entschieden uns für ein Mittagessen im Restaurant Luftsprung am Unteren Bergauer Platz. Übrigens sehr empfehlenswert - eine große Auswahl an leckeren Salatgerichten.