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Besuch der Ausstellung "REISEBEGLEITER - Koffer-Geschichten von 1750 bis heute" im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg

Wie meist, trafen wir uns in der Mittelhalle des Nürnberger Hauptbahnhofs und gingen zu Fuß durch den Frauentorgraben zum Germanischen Nationalmuseum. In der Eingangshalle begrüßte uns unsere Guide, Frau Dr. Seltmann. Zum Ausstellungsraum waren es einige Schritte. Er liegt ebenfalls im Erdgeschoss. .

ticket zum Germanischen Museum

Eintrittskarte zum Germanischen Museum

In der Mitte des Ausstellungsraums steht eine alte Bank aus massivem Holz, wie sie früher in den Wartesälen der Bahnhöfe üblich war - nicht sonderlich bequem, aber doch angenehmer für's Gesäß als die Sitze aus Metallgerippe, die heute überwiegen. Über der Bank hängt eine alte Bahnhofsuhr. Bei näherer Betrachtung ein faszinierendes Teil. Auf der einen Seite zeigte die Uhr die genaue Zeit an, wie man es von einer ordentlichen Bahnhofsuhr erwartet: Es war kurz nach 11. Auf der Rückseite standen die Zeiger aber auf kurz vor 1. Und - noch sonderbarer: Der Sekundenzeiger bewegte sich rückwärts. Grübel, grübel, kombinier... Jemand kam auf die Lösung: Diese Uhr zeigt die an der 6 Uhr - 12 Uhr-Achse gespiegelte Zeit an: kurz vor eins, statt kurz nach elf. Diejenigen unter uns, die den sogenannten Tunnelblick haben - Retinitis Pigmentosa, konnten das noch ganz gut erkennen und erklärten es uns anderen. Aber warum eine Uhr, die rückwärts läuft? Irgendjemand hatte sich vielleicht was dabei gedacht - bloß was?... Ist die rückwärtsgehende Uhr Sinnbild für die Zeitreise in die Vergangenheit: in die Welt der Gepäckstücke, in denen die Leute früher die Dinge verstauten, die sie auf ihren Reisen mitnehmen wollten?

Beginnen wir am Anfang unseres Rundgangs und lassen wir uns von Frau Seltmann durch die Ausstellung führen. Gleich hinter dem Eingang erwarteten uns große, repräsentative Koffer - keine anonyme Industrieware, sondern handwerklich hergestellte und künstlerisch gestaltete Einzelstücke.

Wie reiste man zu Mozarts Zeiten, also im 18. Jahrhundert? Zu besichtigen war eine Kutschentruhe, die das Gepäck der Reisenden aufnahm. Die reichen Leute ließen sich Koffer aus Holz nach ihren persönlichen Bedürfnissen anfertigen. Ein kirchlicher Würdenträger aus Franken wollte auf seinen Reisen sein eigenes Geschirr dabei haben. Dafür besaß er einen Koffer mit zirka 200 Einsätzen, die genau an die Maße seiner Teller, Tassen, Gläser, Krüge et cetera angepasst waren. Jedes Teil war an seinem Platz fest verankert und gegen Transportschäden geschützt.

Ein flacher Koffer diente als mobiles Schreibpult. Klappte man ihn auf, kam eine ergonomisch nach hinten ansteigende Schreibunterlage zum Vorschein mit Fächern für Tintenfass und Schreibkiele.

Ein paar Schritte weiter und wir befinden uns bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ein mittelgroßer Koffer trägt die Initialen H.P. Das sagte uns nicht viel, bis Frau Seltmann uns verriet, dass H.P. für Hedwig Pringsheim steht, die Schwiegermutter des Schriftstellers Thomas Mann, der seinen vollen Namen an einer anderen Stelle des Koffers auch hatte verewigen lassen. Dieser Koffer hat Thomas Mann auf seinen Reisen durch Europa und später ins amerikanische Exil begleitet.

Gegenüber in einer Vitrine befindet sich ein Ungetüm von Koffer. Hochkant aufgestellt misst er über eineinhalb Meter. Tolle Verarbeitung, edle Beschläge. Die Initialen lauten auf M.D.. Wer verbirgt sich hinter M.D.? - Marlene Dittrich, die Diva, die durch die Welt nomadisierte. Präziser gesagt: Sie war eine Edel-Nomadin, die von einem Fünf-Sterne-Hotel zum nächsten reiste und dabei ihre Habe immer um sich haben wollte. Von diesen Koffer-Ungetümen, die sie liebevoll "Elefanten" nannte, besaß sie acht Stück und daneben noch eine stattliche Anzahl weiterer Koffer und Taschen. Auf ihren Reisen war sie daher regelmäßig von über 80 Gepäckstücken umgeben, was auch auf einem Foto dokumentiert ist.

Weiter ging's zur nächsten Reihe von Vitrinen, die den Gepäckstücken der bürgerlichen Reisenden zu Beginn des letzten Jahrhunderts gewidmet waren. Fuhren diese mit ihren Familien per Bahn in irgendeine "Sommerfrische", begnügten sie sich mit vergleichsweise bescheidenerem Gepäck, eben nur dem nötigsten, ein großer Koffer fasste so viele Klamotten, dass sich die Herrschaften mehrmals am Tag umziehen konnten. Schließlich wollte man am Urlaubsort zeigen, dass man wer war und was hatte. Und die eigenen Daunenbetten wollte man im Urlaub auch nicht missen. Sie stopfte man in einen großen Korb. So kam Gepäckstück zu Gepäckstück. Bloß gut, dass es damals an den Bahnhöfen Gepäckträger gab, die die unhandlichen Teile mit ihren Karren - ein Exemplar war auch zu besichtigen - von der Droschke zum Gepäckwagen des Zugs brachten. Ein solcher Gepäckwagen gehörte in der Saurier-Zeit der Eisenbahn, vor Erfindung des ICE, zu jedem Fernzug und befand sich gleich hinter der Lokomotive.

Gepäckstücke erzählen auch eine ganze Menge über die (Reise-)Kultur, das gesellschaftliche Leben und die Gepflogenheiten ihrer Epoche, wie uns Frau Seltmann anschaulich erläuterte. Daher veränderten sich Aussehen und Beschaffenheit der Gepäckstücke nach dem zweiten Weltkrieg grundlegend. Die Massenmotorisierung setzte ein und etwas später begann das Zeitalter des Flugtourismus. Während zu Beginn der sechziger Jahre Flüge nur einen Anteil von einem Prozent am gesamten Reiseverkehr ausmachten, sind es heute über dreißig Prozent, erläuterte Frau Seltmann

In den Kofferraum eines "Brezel-VWs" der späten 50er Jahre packte man besser Taschen aus weichem Material, um das geringe verfügbare Volumen optimal zu nutzen. Aber oft reichte der Platz halt nicht für das Urlaubsgepäck einer Familie. Für diesen Zweck erdachte sich eine Firma einen Gepäck-Anhänger, den wir auch bestaunen konnten. Ein imposanter, stabiler Koffer war auf eine Achse mit einem Rad montiert. Das ganze Konstrukt hing über zwei Halterungen an der rückwärtigen Stoßstange des Käfers. Heute mit einem solchen Gespann beim TÜV vorzufahren, würde sicher zu einem denkwürdigen Erlebnis...

Demgegenüber wurde der Hartschalenkoffer, Marke Samsonite, zum typischen Requisit von Flugreisenden. Er war so robust, dass er die raue Behandlung bei der Gepäckverladung unbeschadet überstand. Verschiedene Exemplare waren in einer Vitrine zu besichtigen. Daneben war ein kurioses Teil platziert, ein sogenanntes Beauty-Case. Die Dame von Welt brauchte es unbedingt, um auch 10.000 Meter über dem Atlantik nicht auf Make-up und Parfüms verzichten zu müssen. Heute sieht man dieses Accessoire nicht mehr. Es fiel den verschärften Sicherheitsbestimmungen nach 9/11zum Opfer.

Die Gepäckstücke, denen wir bisher begegneten, waren die von Reisenden der ersten Welt - also von Leuten, die gewöhnlich eine Rückfahrkarte lösen. Der letzte Teil der Ausstellung ist Gepäckstücken von Menschen, denen ein einfaches Ticket reicht, gewidmet: Emigranten, Flüchtlinge, Gastarbeiter. Ihre Gepäckstücke müssen vor allem billig und praktisch sein: faltbare, leichte Taschen aus einer dünnen, stabilen Kunststoff haut, in die ihre gesamten Habseligkeiten reinpassen.

die Gruppe im Cafe

Eine gemütliche Runde im Cafe Arte ds Germanischen Museums

Damit waren wir am Ende des Rundgangs angelangt. Unsere Guide, die wirklich einen tollen Job gemacht und die Exponate so anschaulich beschrieben hatte, dass wir - auch ohne sie richtig zu sehen - eine plastische Vorstellung davon entwickeln konnten, verabschiedete sich.

Nach so vielen Informationen tat ein wenig Ruhe und eine Tasse Kaffee gut. Beides fanden wir im Cafe Arte - ebenfalls im Germanischen Nationalmuseum. Das Foto zeigt unsere Gruppe - jeder mit einer Tasse Kaffee vor sich - an einer langen Tafel.